Vortrag: Gerko Egert – Macht bewegt sich, Macht bewegt
Vortrag von Gerko Egert am 31. Januar 2020 Im Rahmen der Konferenz ›Choreographie als Kulturtechnik‹ des Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen
Konferenzbeschreibung
Der Begriff des Choreographischen erfährt zurzeit eine bemerkenswerte interdisziplinäre Ausweitung: Choreographie wird als qualitative Instanz für die Analyse verschiedenster kultureller, gesellschaftlicher und ästhetischer Praktiken und Lebensformen verwandt und erscheint im Licht einer Kulturtechnik. Dabei markiert Choreographie diejenige kulturelle Instanz, die chaotische und unübersichtliche Bewegungsformen in den Fluss zu bringen, ordnen und gegebenenfalls regulieren vermag. Choreographie erhält damit geradezu eine kulturstiftende Dimension, die sie als Kulturtechnik zu denken gibt.
Welches Potential birgt Choreographie als Kulturtechnik? Welche kulturprägenden Optionen liegen in der Kunst des Choreographischen und was bedeutet dies für den Begriff der Choreographie, der eng mit den Potentialen des Körpers korreliert? Was macht Choreographie für eine Kulturtechnikforschung interessant? Vor diesem Hintergrund eröffnet die Konferenz eine kritische Auseinandersetzung mit den Funktionen, Potentialen, Zuschreibungen und Versprechungen von Choreographie.
Tatsächlich kommt Choreographie eine ästhetische und kulturelle Funktion der Ordnungsstiftung zu. Denn auf der Grundlage ihrer strukturellen Gefüge, die medial durch Notationen, scores und Handlungsanweisungen vermittelt sind, bringt das Choreogaphische Formen und Gestalten hervor. Darüber hinaus scheint die Kunst des Choreographischen eine geradezu transformatorische Organisationskraft zu besitzen, die es versteht, mit energetischen Kräften zwischen Körpern, Räumen und Zeiten ›gliedernd‹ zu wirken. Sie erscheint mitunter sogar als eine kulturprägende Instanz, die mit einer Gabe der Selbstorganisation fern subjektzentrierter Einflussnahmen ausgestattet ist.
Mit diesen Arbeitshypothesen schafft die Konferenz einen Reflexionsraum und verfolgt eine theoretische Re-kontextualisierung und kulturkritische Re-Lektüre von Choreographie. Aus kulturtheoretischer, kultursoziologischer, tanz-, theater-, medien- und kunstwissenschaftlicher Perspektive werden ästhetische und kulturelle Tragweiten der Kunst des Choreographischen diskutiert und im Kontext zu Szenographien, Erinnerungstechniken, Ausstellungskonzeptionen, Museums-Events, autobiographischen Entwürfen, Gesellschaftsformationen, Aufführungsästhetiken und digitalen tools untersucht. Erweiternd zu einem topologisch-schriftzentrierten Begriff geraten die transformierenden Anordnungsoptionen und zeit-räumlichen Dispositionen choreographierter Abläufe und Körper genauer in den Blick.
»Macht bewegt sich, Macht bewegt. Techniken einer choreographischen Politik« (Gerko Egert)
Der Vortrag widmet sich der Frage der Choreographie als einer Technik der Macht. In Szenarien wie Kolonialismus, Migration, Logistik und Verkehr agiert ein choreographischer Machtapparat, der sich nicht nur auf Bewegung (als zu regierendes „Objekt“) richtet, sondern in welchem Bewegung selbst zu einer Form der Macht wird. Ausgehend von Michel Foucaults Konzept einer „operationalen Macht“ und Brian Massumis „Ontomacht“, soll ein Konzept der „Choreomacht“ vorgeschlagen werden, das Bewegungen auf ganz unterschiedlichen Skalen kontrolliert und moduliert. Als eine transversal operierende Politik bildet die Choreographie eine umfassende Kulturtechnik, deren produktive wie immanenten Operationen zugleich Mikro- und Makrobewegungen adressieren. Sie agiert dabei in so unterschiedlichen Bereichen wie der Ökonomie, der Staatspolitik, der Geologie/graphie oder der Psychologie. Diese „ökologische“ (Guattari) Wirkweise der Choreomacht stellt somit auch die Grenzen der Kulturtechnik (in Abgrenzung zu den Techniken der Natur) selbst in Frage.
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Datum/Zeit: 31. Januar 2020, 17.00 – 17.45 Uhr Ort: Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen, Georg Büchner Saal / Alte UB, Bismarckstraße 37, 35390 Gießen Eintritt: frei (ohne Anmeldung)