Ausweitung der Wissenszone

Barbara Kuon

Das philosophische Leben als „Theater der Wahrheit“, „Skandal der Wahrheit“, „Kampf für die Wahrheit“, „Verkörperung der Wahrheit“: In seinen Untersuchungen zur sokratischen und kynischen Philosophie hat Michel Foucault den künstlerisch-performativen Charakter des philosophischen Wissens aufgezeigt. Die Philosophie ist eine Lebensform, in der das eigene Leben kontinuierlich einer ästhetischen, ethischen und zugleich politischen Transformation in ein Werk, in ein „wahres Leben“ unterzogen wird.
Ich möchte zeigen, dass es sich beim Verfahren der Herstellung des philosophischen Wissens bzw. der philosophischen Lebensform um ein Reduktionsverfahren handelt: um eine symbolisch-ökonomische Strategie des Verzichts auf das Eigene (eigene Botschaft, eigene Meinung, eigene Perspektive, eigenes Wissen, eigenen Besitz, eigene Identität usw.) mit dem Ziel/Effekt der symbolischen Aneignung des Ganzen bzw. des Mediums – seien dies das Medium Sprache oder das Medium öffentlicher Raum. Anschließend werde ich das moderne Phänomen der Arbeitsteilung zwischen nur noch schreibenden Philosophen (Marx, Nietzsche), die zur performativen Verkörperung des philosophischen Wissens aufriefen, und modernen avantgardistischen Künstler_innen, die diesem Aufruf folgten, untersuchen. Von besonderem Interesse sind dabei Autoren, für die Wissen und Verkörperung des Wissens eine untrennbare Einheit bildeten, wie etwa Hugo Ball, Walter Benjamin und Alexandre Kojève. Zuletzt möchte ich das gegenwärtige System der Arbeitsteilung zwischen Philosoph_innen und Künstler_innen im informationstechnisch aufgerüsteten Raum analysieren: Wie kann die philosophisch-künstlerische Wissenszone auf den digitalen Raum ausgeweitet werden? Wie lässt sich das Medium Internet – verstanden als Maschine der Enteignung – (symbolisch) aneignen? Im Fokus stehen hier die jüngeren, von Künstler_innen intensiv rezipierten philosophischen Ansätze eines transhumanistischen Realismus oder Materialismus (Spekulativer Realismus, Akzelerationismus usw.), die den Vorrang des Objekts betonen und die Obsoleszenz des erkennenden Subjekts behaupten bzw. dessen ekstatische Selbstauslöschung imaginieren.

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