Swantje Lichtenstein: Kommentararten

KUNST Warum Textarbeit Kunst ist. Warum
sollte der Text nicht Kunst sein? Warum auch
nicht? Wenn man den Text Kunst nennt. Wenn
man es mit Ernst und Würde betreibt. Reicht
das? Wird das nicht einfach konzeptuell? Es
wirkt der Begriff. Das wiederum ist ein Oxy-
moron. Das wiederum steht bei Bergson nicht,
der schaut. Und lacht. Bei Merleau-Ponty nicht,
der ebenfalls schaut. Weder bei Nancy, schon
gar nicht bei Blanchot, wiederum nicht bei Kant
und Wittgenstein, kommt wohl am nächsten
da ran, aber schmunzeln müssten die anderen
auch, wenn je eine geschmunzelt hätte. Tauben
nach Paris, Flöten nach Stockholm und
Stricknadeln nach Rom tragen. Wenn Athen
schon unterzugehen droht. Dingsbums. Ding,
das nicht ohne die anderen ist. Die kleinen
Papierstückchen werden durch Tuschestriche
auf das Blatt gehalten, die Seite knickt ab und
fliegt weg. Warum nur, warum nicht, denke ich
nicht. Weiter Worte. Verfolgt daran glauben.
Blasenbildend. Blutblättchen. Binsenweisheiten.
Warum, warum gibt es gründelnde Wassertiere
und unverschlossene Fontanellen? Wie kann ein
Halstuch ans Fußende? Die violette Decke
wackelt im Holunder. Die Herbststürme sind im
Gange. Wer kommentiert mich? Wie kommen-
tiert man sich? Die Hegelkommentare sollen
schnell erscheinen. Die meinen, die meinen es ja
nicht. Die Eulen weichen den Füchsen,
die schleppen sich nach Paris. Nicht Rom.“

Aus: Lichtenstein, Swante (2015): Kommentararten. Edition Belletristik, Quartheft 59. Verlagshaus J. Frank, Berlin, S. 21.

Swantje Lichtenstein

© Sophia Wagener

Swantje Lichtenstein, Professor:in für ›Kultur, Ästhetik, Medien‹ mit dem Schwerpunkt ›Text & Ästhetische Praxis‹ an der Hochschule Düsseldorf und Performance Künstler:in, leitete im Rahmen des fünften Netzwerktreffens Anderes Schreiben/Schreiben als epistemische Praxis Ende November 2019 einen experimentellen Schreibworkshop.

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