Knut Ebeling: Post-internet-academics

Fünf oder sechs Szenen zum Making of a… Netzwerk

Knut Ebeling

Melina Pafundi

Foto: Light-Typing Lecture von Kevin B. Lee im Rahmen der Harun Farocki Residency at silent green, 2017 © Foto Melina Pafundi

1. Szenenwechsel. Beim Gründungstreffen des Netzwerks Anderes Wissen verlassen wir die UDK relativ rasch wieder, als wäre uns, den angehenden oder gewordenen ProfessorInnen, nicht ganz wohl in ihrer akademischen Haut. Es geht – ausgerechnet – ins silent green, eines der angesagten neuen Kulturquartiere der Stadt, mit seinen autonomen und queeren Institutionen (Farocki Institut, Savvy Contemporary). Dort trifft man nicht nur sofort und signalartig die queeren BewohnerInnen Berlins, sondern endlich auch mal die eigenen StudentInnen: Was sich für mich sofort mit der Frage verbindet, ob die staatlichen akademischen Institutionen nicht ausgedient haben gegen die neue Macht der Algorithmen und ihrer Befindlichkeiten, die uns im Farocki Institut sofort entgegenschießen.

2. Desktop intervention. Beiden, Befindlichkeiten und Algorithmen, begegnen wir rasch bei der lecture performance von Kevin B. Lee aus Paris, dem Anlass für unseren Besuch im silent green. Seine desktop intervention im auratischen ehemaligen Krematorium gibt nicht nur die bei ihm in Auftrag gegebene Zusammenfassung der letzten Konferenztage, in denen es vor allem um eine Bestandsaufnahme des bewegten Bildes im Jahr drei nach Farocki ging. Vor allem anderen konfrontiert uns Lee, der erste Stipendiat des Farocki Instituts, mit einem neuen, ungewohnten und völlig unakademischen style: jener quantitätsbesessenen, algorithmengetriggerten Oberflächlichkeit, die man zuweilen bei digital natives erfährt. Lee begegnet der Konferenz nicht mit einer akademisch oder sprachlich oder chronologisch oder auch nur irgendwie qualitativ geordneten Zusammenfassung. Er lässt seine neuesten Bild- und Zahlerfassungsprogramme über die Konferenztage drüberlaufen. Bizarres Ergebnis: Tribale Rituale, archaisches Gendering, unbewusste Bildprogramme.

3. Drei Tische. Ähnlich tribal und archaisch das Ritual, das sich augenblicklich an die Intervention von Lee anschließt: Wie bei einer Prozession klagen ihn die einzelnen studentischen Gruppen, die an der Konferenz teilgenommen haben, nacheinander an, ihre Arbeit nicht adäquat repräsentiert zu haben. Eigentlich hätte auch unsere poststudentische Gruppe ihre Befindlichkeit dem Auditorium im ehemaligen Krematorium mitteilen sollen. Natürlich tun wir das nicht, sondern ziehen uns – akademisch gesittet – an einen Tisch im silent green zurück, das an diesem Herbstsamstagnachmittag weder silent noch green ist (sondern herbstgelb). Der Tisch ist ebenso rektangulär geformt wie der verlassene in der UDK – und wie der im themroc, an dem wir am Abend sitzen werden. Neue Gemeinschaften konstituieren sich mit Vorliebe archaisch, an Tischen – an denen man entscheiden kann, wer dabei sitzen darf und wer nicht. Ironischerweise wird genau diese gemeinschaftsstiftende Geste von Lees lecture thematisiert: Er zeigt ein Foto einer panel discussion der vergangenen Tage und vergleicht – oder besser: der Algorithmus findet – die Lichtregie der Tischanordnung mit Beispielen aus der Kunstgeschichte. Der Algorithmus liefert den Slapstick: Die triviale panel-Szene von gestern Abend wird mit altehrwürdigen Gemälden von Raffael, Rembrandt bis Franz Hals ‚verglichen‘.

4. Akademisch Unbewusstes. Skurrilerweise hätte diese Szene auch mit unserer eigenen Tischgemeinschaft der Diskutierenden über den Lee Vortrag verglichen werden können: Denn auch wir sitzen danach an einem langen Tisch und konstituieren eine akademische Gemeinschaft darüber, dass wir kriterienangereichert über einen Vortrag diskutieren und ein Urteil darüber fällen. Es fällt negativ aus – und tappt in die Falle eines akademischen Unbewussten, das weder sich selbst sieht (auch wir sind eine Gemeinschaft, die sich an einem Tisch konstituiert) noch die Außenwelt richtig wahrnimmt (die Gemeinschaft verwechselt die lecture performance mit einem akademisch ernst gemeinten und inhaltlich zu diskutierenden Vortrag). Die Gruppe beklagt die pseudoakademische Unernsthaftigkeit Lees: Die schnellen Schlüsse, die quantitativen Analysen, die plakative Geste. Weswegen die rasch zusammen gezimmerte desktop intervention von anderen Gruppenmitgliedern wiederum verteidigt wird: Es ginge um keine ernst zu nehmende Analyse, sondern um einen neuen style – der für die meisten BesucherInnen der Konferenz freilich schon so selbstverständlich geworden war, dass er unsichtbar wurde. Dieser neue akademische style – der digital natives – dreht sich natürlich, wie der Name der Intervention schon sagt, um den desktop; dreht sich darum, dass man einer Konferenz auch algorithmisch begegnen kann; dass man auch einfach die neuesten Bilderkennungs- und Datenerfassungsprogramme über inhaltlich angestrengte Diskussionen einer Konferenz laufen lassen kann. Schließlich laufen diese Programme auch täglich und nächtlich über uns alle und unsere geheimen Bildschirmpraktiken drüber, um so etwas wie ein verborgenes digitales Selbst zu konstituieren: ein Reales, das nicht nur krass von unserem imaginären Selbst abweicht, sondern das auf diese Weise auch ein Anderes Wissen konstituiert, das es zuallererst auszugraben gilt.

5. Zeitlichkeit. Der Einsatz von Lees Intervention betraf die unbewusste akademische Praxis in ihrem Kern – und damit auch einen Kernbereich des Netzwerk-Interesses: Die provokativen Oberflächen von Lees desktop zielten präzis auf die Zeitlichkeit und Werkhaftigkeit des akademischen Vortrags – und damit auf unser aller geheime digitale Schreibtischoberfläche und verborgene Praxis: Was hier mit den neuen Realzeit-Waffen gesprengt wurde, die wir alle so auf unseren Rechnern haben, holt in einer Art Archäologie des Akademisch-Verborgenen all die digitalen Hilfen, Praktiken und Unschärfen ans Licht, die wir in unseren Vorträgen wieder verbergen. Lees desktop intervention – und wenn man so will: fast jede lecture performance – betrifft also die Zeitlichkeit der akademischen Praxis selbst: Sie ist so prozessual inszeniert, als ob es kein vorher/nachher des akademischen Vortrags mehr gäbe, als ob nicht vorher etwas vorbereitet worden wäre, das _nachher_ einem Publikum vorgetragen wird. Stattdessen wird die Werkhaftigkeit des Vortrags selbst in realtime mit den Mitteln des desktops dekonstruiert: Willkommen in der schönen Welt der Daten, die auch der bravste Akademiker liefert. Dabei korrespondieren die gezeigten Benutzeroberflächen seines Rechners, all die trivialen Google und Wikipedia searches, peinlich genau mit den Oberflächen, die wir dauernd vor Augen haben, aber akademisch-keusch verbergen: eine Demaskierung des akademisch-Verborgenen, die auf ihre Ablehnung nicht lang zu warten braucht. Vielleicht ist dieser Vortragsstil der einzige, der seiner Zeit gerecht wird.

6. Prozessualität. Wie kann man die Prozessualität der akademischen Arbeit in ihr selbst sichtbar machen? Wie können wir Vorträge machen, ohne dass allein schon ihr style, die Zeitlichkeit und Gemachtheit unserer Vorträge uns hemmungslos als Old School ausweist? Wie können wir Vorträge (Seminare, Vorlesungen) auf der Höhe der Zeit machen? Und wie können wir – um diesen Gedanken der Prozessualität des akademischen Arbeitens auf uns selbst und das Netzwerk anzuwenden – das Making Of eines Netzwerks in ihm selbst einblenden? Wir idiotischen old school academics, die nichtmal daran denken, Fotos ihrer eigenen Gründungstreffen zu machen? Did anyone take a photo of this? Wie können wir die Praktiken des akademischen Handelns selbst zum Thema und Objekt des Wissens machen? Wie die akademisch ausgeblendeten und verdrängten Szenarien, Orte und Praktiken bedenken? Wie können wir unser akademisches Handeln als solches begreifen, unser eigenes akademisches Tun von außen sehen – so wie es nicht uns, sondern wahrscheinlich unseren Studierenden erscheint? Wie können wir die Archäologie einer akademischen Praxis betreiben und zum Objekt des Wissens machen, die gerade dabei ist zu verschwinden?

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