Kunst als Denken in der russischen Philosophie der Moderne
Das Projekt nimmt sich Texte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Russland zum Gegenstand, die in einem ästhetischen ebenso wie einem philosophischen – und damit eben wissensorientierten bzw. denkerischen – Kontext stehen. Im Zusammenhang mit einem epistemologischen Erkenntnisinteresse an der künstlerischen Forschung scheinen diese insofern von Bedeutung, als sie Positionen formulieren, die aspekthaft auch in der künstlerischen Forschung aufscheinen. Die für das westeuropäische neuzeitliche Denken konstitutive cartesianische Trennung von Körper und Geist findet in Russland nicht in gleichem Maße statt oder ist sogar Gegenstand heftiger philosophischer Ablehnung, sicherlich kulminierend in der (Religions) Philosophie der klassischen Moderne. Denken über und Denken mit sind nicht im gleichen Maße getrennt wie das für den westeuropäischen Erkenntnisbegriff (bis zur Einkehr der Aisthesis und der Embodiment-These der Kognitionswissenschaften) gesetzt scheint. Es stellt sich bei der (Re-)Lektüre dieser präavantgardistischen Positionen aus dem russischen Kontext heraus, dass die Herausforderung des Wissens- und Erkenntnisbegriffs durch die künstlerische Forschung sich auf einen spezifisch westeuropäischen Erkenntnisbegriff beziehen muss. Die Konfrontation der künstlerischen Forschung (verstanden als ein handelndes, vollziehendes, performatives, gestalterisches Denken) mit diesen Positionen profiliert diesen Erkenntnisbegriff in seiner historischen aber eben auch in seiner geokulturellen (westlichen) Herkunft, präpariert vor allem aber auch ein anderes historisches Verständnis von Wissen und Erkenntnis heraus, das epistemologische und ästhetische Kompetenz nicht trennt – und damit eine aktuelle Fragestellung verhandelt. Gänzlich unangebunden an den westlichen Kontext sind diese Positionen natürlich nicht. Historisch entstanden sie in Auseinandersetzung mit der westlichen (vor allem hegelianischen) Ästhetik und Erkenntnistheorie – und als Prä- und Subtexte der russischen Avantgarde erfahren sie eine verborgene Rezeption besonders in der poststrukturalistischen Philosophie des 20.Jahrhunderts.