Julia Bee: Ciné-Ethnographie und audiovisuelle Forschung – Teil I
Gedanken zu Anderen Wissenspraktiken in der Lehre
Was könnte es bedeuten, Künstlerische Forschung in die universitäre Lehre zu integrieren? Welches Wissen entsteht dabei? Wie ist dies mit dem Begriff eines „Anderen Wissens“ beschreibbar? Ich möchte zu dieser Frage einige Gedanken teilen, die ich mir aus Sicht einer Lehrenden stelle, die experimentelle audiovisuelle Bewegtbildformen als Projektarbeiten in die Lehrpraxis integriert.
Welchen Stellenwert haben die Filme? – Das ist oft die erste Frage und wie werden sie bewertet, wenn es keine rein ästhetischen Maßstäbe sind, die eine Rolle spielen. Filmethnographien (Ciné-Ethnographien nach einem Begriff Jean Rouchs) sind soziale und mediale Experimentierfelder mit der eigenen Erfahrungs- und Lebenswelt im Medium von Bewegtbild, Fotoessay oder Installation. Sie sind nicht nur als andere Repräsentationsweisen von Wissenschaften, sondern als die Erfindung neuer Denk- und Existenzweisen zu sehen, wie sie gerade im sozialkritischen ethnographischen Dokumentarfilm entstanden sind (z. B. von Bonnie Sher Klein oder Pierre Perrault für das NFB). Oft führen diese Filmexperimente zu einer Reflektion über den eigenen alltäglichen und hochfrequenten Bildgebrauch. Dabei werden ganz andere Weisen der Reflektion motiviert, als lediglich das Erlernte anzuwenden und theorieförmige Kunst zu machen (was nicht nichts ist, aber der erstaunlichen Vielfalt der studentischen Filme, die ich bisher gesehen habe, nicht gerecht wird).
Ich empfinde Probleme mit der Filmpraxis in der Lehre als sehr produktive Spannungen, gerade weil ich aus den Auseinandersetzungen der Studierenden mit ihrem Gegenstand und mit den Anforderungen ihres theoretischen Studiums viel lerne. Ich stelle mir Fragen zum Film in der Lehre aus Sicht einer theoretisch arbeitenden Person und zwar vor allem vor dem Hintergrund des ethnographischen Films. An der Bauhaus-Universität nähert sich wie überall an Hochschulen, an denen Künstler_innen und Architekt_innen ausgebildet werden die Jahresschau/Rundgang („summaery“), an der in diesem Jahr auch wieder die Studierenden unserer Seminare aus der Medienwissenschaft teilnehmen werden. Ich freue mich schon wieder auf extrem spannende Projekte aus der Feder (Kamera) von Studierenden der Medienkultur. Und dabei frage ich mich, wie die Filme der sogenannten Nichtpraktiker_innen – wer immer das sein mag – betrachtet werden und werde einmal mehr darauf zurückgeworfen, was es eigentlich heißt, Film in die (film- und medienwissenschaftlichen) Lehre zu integrieren, d. h. nicht das Filmemachen als Profession und in seiner Professionalität zu unterrichten, sondern mit Film zu unterrichten. Neben vielen praktischen Fragestellungen bedeutet dies, Lehre selbst und Lernen durch die Praxis konzeptuell zu hinterfragen. So, wie Gilles Deleuze einst das Denken des Films beschrieben hat, könnte es doch auch eine denkende Pädagogik des Filmischen geben, ohne diese in Formalisierungen und Bewertungsmaßstäbe zu ersticken?
An verschiedenen Orten im deutschsprachigen Raum wird diese Diskussion bereits sehr produktiv geführt, ausprobiert und es gibt auch schon Projekte, die den Essayfilm als „filmvermittelnden Film“ (Pantenburg, Baute u.a.) als Lehrpraxis diesseits und jenseits der Universität entwickeln. Im Essayfilm nach Harun Farocki, Alexander Kluge, Chris Marker, Hito Steyerl, Trinh T. Minh-ha und anderen werden im Seminar Filme neu montiert und dabei ein filmimmanenter subjektiver Standpunkt artikuliert, der sich häufig an assoziativen Fäden, an Details und Rhythmen orientiert.
Ich stelle mir die Frage einer künstlerischen Lehre vor dem Hintergrund meiner Tätigkeit in hauptsächlich nichtkünstlerischen Studiengängen, vor allem der Film- und Medienwissenschaft. Das ist sicher eine nichtaufzulösende Spannung. Dabei bleibt mir ein Ausdruck des Filmemachers David MacDougalls präsent, der Film einst als „Forschungsmittel“ und als „empirische Kunst“ beschrieben hat. Damit reflektiert er eine lange Tradition des Nachdenkens über die Rolle von Film in der Anthropologie und des kritischen Reflektierens dieser kolonialen Disziplin und eines ihrer liebsten Medien neben der Fotografie. Ethnographische Filme haben sich dabei in den letzten 100 Jahren immer wieder aus ihrer dokumentarischen oder repräsentativen Funktion befreit und eigene experimentelle Wege der Forschung entwickelt – ein guter Teil davon wurde in der Forschungsliteratur zum Cinéma vérité und zum Cinéma vécu aufgearbeitet. Heute sind es die erfahrungsorientierten Filme des Sensory Ethnography Lab (z. B. Leviathan, Sweetgrass, die dem beobachtenden Film näher stehen als etwa den essayistischen Praktiken eines Harun Farocki, und die erneut eine Loslösung des Films vom Text und damit eine eigene wissenschaftliche Existenzweise einfordern.
Ich möchte dafür plädieren, mit Bewegtbildformen auch in wissenschaftlichen Studiengängen auf vielfältige Weise in der Lehre zu experimentieren. Nicht, weil ich Theorien illustrieren will oder sogar den allgemeinen Praxisforderungen nachzugeben gewillt wäre. Auch geht es nicht darum, die Künste und die Medien gegeneinander auszuspielen – der gute Film versus die Massenmedien. Ich glaube vielmehr, dass die Medienwissenschaft durch Praktiken künstlerischer Forschung angeregt wird, sich über Methoden und Techniken Gedanken zu machen, vor allem über das Verhältnis zwischen Theorie und Beispiel. Ein Beispiel muss eben nicht immer eine Anwendung sein, sondern kann vielfältige Beziehungen eingehen, die sich nicht repräsentativ zu ihrem Gegenstand verhalten.
Bei der Integration dieser Methoden geht also mehr als nur um die Forderung nach mehr Praxisbezug in der universitären Ausbildung. Und tatsächlich gilt es auch diese Forderungen zu differenzieren und nicht die komplexe Theoriebildung, Analyse und kritische Reflektion im universitären Unterricht durch Praxisbezug zu verdrängen. Ganz im Gegenteil: Deleuze und Guattari in Was ist Philosophie? folgend, muss es um je eigene Formen des Denkens gehen (in Was ist Philosophie? sind das Wissenschaft, Philosophie und Kunst). Aber was heißt es, seine Forderung nach den verschiedenen Formen des komplexen Denkens zu „bejahen“ (Deleuze) und sich dennoch anders als textuell, etwa durch audiovisuelle Praktiken, der Welt zu nähern oder sogar weltverändernd zu wirken? Film als wissenschaftlich-didaktische Methode zu entwickeln, wie es hauptsächlich in Form des Essayfilms momentan geschieht, bedeutet aber nicht – wie es übrigens ein verbreitetes Missverständnis besagt – dass es um standardisierbare Methoden geht, die sich als Fertigpakete überall hin transplantieren ließen. Methoden sind keine standardisierten Anwendungspakete, sondern führen im besten Falle zu Reflektionen über die Medialität der Forschung und damit auch zur Situiertheit dieser, da sie zunächst hinterfragen, was zumeist unbemerkt im Hintergrund läuft. Erst durch eine andere Praxis wird mir oftmals bewusst, wie sehr diese Praxis mein Denken und meine Wahrnehmung verändert. Dies ist eine Funktion von Kunst und sie lässt sich genauso in der Lehre einsetzen, wenn auch keinesfalls verordnen oder instrumentalisieren. Vielmehr gilt es, die Interessen der Studierenden in eine audiovisuelle Fragestellung zu überführen. Diese Fragestallung ist ein Prozess, der ein Gefüge aus Thematik und Gegenstand bildet – und manchmal neue Beziehungen aufbaut, im besten Falle Situationen verändert. Mit dieser Implikation, zu verändern, anstatt abzubilden, selbst anders zu werden, anstatt sich „heraus zu nehmen“ werden Studierende mit vielen Fragen im praktischen Sinne konfrontiert, die sie aus der Lektüre der Theorie des Dokumentarfilms kennen – oder aus ihrer bildökonomischen und sozialen Praxis bei Instagram, bei Facebook und co. Was es heißt Bilder zu teilen erscheint plötzlich in einem anderen Licht.
Hier kommen aktuelle methodische und epistemologische Fragestellungen mit Fragen des Dokumentarfilms zusammen, wie sie sich auch in der Lehre niederschlagen: Die ontologische oder ontoepistemologische Thesen Karen Barads aber auch Eduardo Viveiros de Castro, die momentan viel diskutiert werden, bleiben für die Lehre oft unterbestimmt. Nähme man sie ernst, würde man die weltenschaffenden Momente medialer Apparaturen viel stärker auf die eigene Methodik übertragen. Es gibt dann gleichsam keine neutrale Methodik, von der alles andere abweicht. Es gibt nur verschiedene Gefüge die Welt zu differenzieren, und in diesen Gefügen sind Apparate Medien der Wissensproduktion.
Momentan scheint es vor allem darum zu gehen scheint, die Geisteswissenschaften eben nicht den Sozialwissenschaften oder sogar den sogenannten exakten Wissenschaften anzunähern und erstere generell vor Kürzungen zu retten. Das bedeutet auch, geisteswissenschaftliche Methoden zu bewahren, die Lektüre von Texten, die Historisierung, Archivarbeit, Recherche und Interpretation. All dies ist durch den Film nicht ausgesetzt, sondern kann neue Formen annehmen: Filme führen oft zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Gegenständen, Orten, Gruppen oder Themen. Und ich glaube, dies hängt häufig mit der katalytischen Funktion des Filmemachens, wie sie aus dem aktivistischen Dokumentarfilm kennt, zusammen, die aktuelle mediale Situation nochmals intensiviert, und so häufig die machtvollen Implikationen des Haltens einer Kamera und der Arbeit am Schnitt verdeutlicht.
Es sollte also klar sein: Dies ist ein heikler historischer Moment, um sich für Praxis einzusetzen. Dazu braucht es eben einen Praxisbegriff, der sich nicht als Anwendung oder als Repräsentation versteht. Dazu gehört eine Reflektion über das Verhältnis von Bild und Text wie es etwa Farocki in seinen Filmen (wie man sieht 1986) führt. Das hat auch politische Implikationen, die alte Wege des Unterrichtens und des Frontalunterrichts aufbrechen, und Aneignungen von Film und Text auf andere Weise zu unterstützen gewillt ist. Und dies stellt nicht die Arbeit am historischen Material in Frage, siehe etwa die forensischen Filme Philip Scheffners, wie Revision (2012), die das Bild als Anlass sehen zu forschen und ein soziales Netzwerk zu begründen. (In den neueren Filmen sind dies etwa genuin kollaborative Methoden, wie man sie jüngst in Les Sauteurs (Moritz Siebert, Estephan Wagner, Abou Bakar Sidibé 2016) kennt und wie sie im Filmschaffen der 60er und 70er begründet wurde, im Arbeiterfilm und im Programm Challenge for Change des NFB wie es kürzlich Sven Seibel in einigen Texten aufarbeitete).
Aber auch hier zeigt sich die Visuelle Anthropologie als Experimentierfeld, erwachsen aus der eigenen problematischen Geschichte. Ich möchte dies nicht ausschließlich und/oder linear beschreiben, aber viele Filme, wie jene aus dem SEL (Leviathan Lucien Castaing-Taylor/ Véréna Paravel) 2012) welchem es nicht nur um ein Wissen vom Anderen, sondern um andere Wissensformen und –formate geht, die möglicherweise dazu beitragen, Objektivierungen, Stereotypisierung und Vermessungen der Anderen zu verhindern – ganz so wie es Trinh Minh Ha in ihrem Satz ausdrückt, sie möchte mit den Subjekten, nicht über sie sprechen (filmen): speaking nearby statt speaking about. Historisch war es leider oft genug der Fall, dass Film und Fotografie sich an der Desubjektivierung des Anderen beteiligt haben. Wie Lucien Castaing-Taylor jedoch schon Mitte der 90er Jahre argumentiert hat, sind Filme aber auch geteilte Erfahrungsräume, die eine transkulturelle Vermittlung leisten können („Iconophobia, and how we lost it at the movies“). Um die Ambivalenz von Filmpraxis und Text zu thematisieren, muss man sich natürlich genauso mit der Problematik von anthropologischen Texten wie mit Filmen beschäftigen. Diese Praktiken sind z. B. in meinen Seminaren, da sie größtenteils in theoretischen Studiengängen stattfinden, durch Texte gerahmt, die historisch, ethisch, ästhetisch und politisch dokumentarische Praktiken reflektieren. Häufig handelt es sich um die Texte von Filmschaffenden wie Trinh Minh Ha, David MacDougall oder anderen Theoretiker_innen-Filmemacher_innen, die zugleich als Filmschaffende und Theoretiker_innen wirken. Und dennoch bedeutet dies nicht, dass der Text kritischer ist als das Bild oder das letzte Wort hat.
Um noch einmal darauf zurückzukommen: Im besten Falle schafft Film also eine Sensibilisierung für die Medialität von Wissen und Erfahrung über Welt – der Wahl des Mittels für Forschung und Präsentation dieser. Darüber hinaus schafft diese ein Bewusstsein für die Standortabhängigkeit von Wissen durch eine vom Standard abweichende mediale Praxis. Während des Drehs eines Dokumentarfilms etwa werden Studierende mit Fragen konfrontiert, die z.B. in der feministischen Wissenschaftspraxis zentral sind, etwa jene des situierten Wissens von Donna Haraway oder mit der Frage der Objektivierung durch die Kamera. Die Situierung schlägt sich häufig jedoch auch anders wieder, indem das ethnographische Moment gewendet wird: Ich ermuntere die Studierenden, ihre unmittelbare Umgebung als Ausgangpunkt zu nehmen und so die Kamera als veränderndes Beziehungsmoment in einem Gefüge zu verstehen, in dem sie selbst mitwirken. Der Spontaneität und bewussten Unvollkommenheit des kleinen studentischen Projekts möchte ich gegen Professionalisierungsbewegungen bewusst Aufmerksamkeit schenken. Stärker der Prozess und die Relation durch das verändernde Mediengefüge als das Ergebnis stehen im Vordergrund. So entstanden etwa in Lehrveranstaltungen zum ethnographischen Film Arbeiten zum Kiosk um die Ecke (Getränke Pusch, Darja Kloepfer 2016), einer Kooperative nahe Orléans (L’usine c’est particulier quand même, Marion Biet 2016) oder zum transkulturellen Zusammenleben im Stadtteil Borgio in Turin (Integrænze, Maria Adorno 2016). Diese Filme sind keine unidirektionalen Anwendungen von Theorie und doch gibt es ein Verhältnis von Theorie und Praxis – etwa eine Auseinandersetzung mit einem Stil oder einer Philosophie des Filmemachens, die nicht Film auf Theorie abbildet, sondern innovative Formen des Dialogs findet. Das kann etwa heißen, dass weder der Film noch ein Text zu/über oder sogar mit einem (studentischen) Film für sich alleinstehen muss (ich arbeite mit einer theoretischen oder diskursiven Leistung als Zusatz zum Film, Vortrag oder Text, der die wissenschaftliche Ebene repräsentiert, die in einem theoretischen Studiengang vorhanden sein muss). Ich frage z. B.: Was hat der Film für dich verändert, was passiert Anderes und anders als im Text? und rege damit zu einer medialen Reflektion über die Form in Bezug zum Inhalt an.
Der Film muss von diesem Standpunkt aus betrachtet nicht repräsentieren – weder die Welt, noch die Unterrichtsinhalte. Er kann aus Fragmenten audiovisueller und kinetischer Experimente bestehen, sich mit einem (film-)theoretischen Text auseinandersetzen und die Umgebung erkunden, verfremden oder Menschen in Beziehung setzen, wie es in der Tradition des Cinéma vérité als soziale Praxis verstanden wird. Dies muss, um es noch einmal mit einem Ausdruck des direct cinema zu sagen, nicht immer heißen, sich wie eine Fliege an der Wand zu verhalten, sondern Verfahren des Sich-Einschreibens zu erfinden, die Situierung (und nicht die neutrale Objektivität) praktisch zu denken, ohne eine reine Reflektion über das Filmemachen an und für sich (l’art pour l’art) zu schaffen. Konkrete Situation erfordern konkrete Praktiken, sie fragen nach „Techniken der Abstraktion“ (Brian Massumi). Techniken der Abstraktion sind künstlerische Verfahren, sich mit seiner Lebenswelt ethnographisch und philosophisch auseinanderzusetzen: z. B. Mit einer Philosophie des Films.
Für dieses Vorgehen muss man als Lehrperson das vielbemühte „richtige“ Verhältnis von Betreuung, aber eben auch Abstand im Prozess der Filmentstehung finden. In den meisten Fällen ist es hilfreich, im Seminarablauf neben Sprechstunden kolloquiumsartige Sitzungen zu gestalten, die Feedback der anderen Teilnehmenden einbauen (Marion Biet hat z. B. auch die Fragen der Studierenden während des Filmens an die von ihr portraitierten Arbeiter\_innen in der französischen Fabrik weitergegeben). Es erfordert nicht nur konkrete Anregungen anhand des Materials zu geben, sondern auch verschiedene ethische Grundsätze des Dokumentarfilms zu diskutieren und an das jeweilige Projekt anzulegen. Vor allem aber gilt es offen zu sein, Realität und Fiktion, Theorie und Praxis, Text und Beispiel in ein neues Verhältnis zu setzen, um der eigenen ‚inneren‘ Dringlichkeit eines Projekts zu folgen und nicht Idealen, die anderen Stilen nacheifern.
Ich möchte mich diesbezüglich einem Beispiel zuwenden, in welchem der (damals noch) studentische Film zu einer Forschungsmethode wird. Für L’usine c’est particulier quand même hat sich Marion Biet Aufnahmen in einer französischen Fabrik (TPC), nahe Orléans gemacht. Die Idee der Montage spielt eben, wie so oft auch bemerkt, in diesem Film eine Rolle, die an das formale und inhaltliche Erbe des Fordismus zugleich anknüpft: In dieser Fabrik wie in fast jeder wird zusammengesetzt. Die Montage der Dinge, der Verpackungen und Abläufe selbst wird mit der Montage des Films erforscht. Dabei werden jedoch auch zeitliche Einheiten in langen Einstellungen zu einer Montage in der Montage. In der Tradition der anthropologischen Filme über Arbeit stehend, lässt sich auch dieser Film als eine Art zeitgenössischer Arbeiter\_innenfilm verstehen (jene zu Wort kommen lassend, die bis in die 60er kaum Stimme im Film hatten), der jedoch auch zahlreiche andere Aspekte neben der konkreten Herstellung eines Produkts beleuchtet und eben daher als ethnographischer Dokumentarfilm zu verstehen ist. Er ist als solcher charakterisiert, da er vor allem auch die Prozesse unkommentiert zeigt, Gesten der Arbeit, aber auch des sozialen Miteinanders in der Fabrik.
L’usine c’est particulier quand même kombiniert die Elemente des beobachtenden Kinos in langen, ungeschnittenen Einstellungen mit der bewusst ästhetisierend gestalteten Montage und Überblendung unterschiedlicher Arbeitsprozesse, in denen vor allem die repetitiven Gesten der Arbeiter\_innen im Vordergrund stehen. Das Zusammensetzen von Produkten, Verpackungen aber auch der Gruppen und die Versammlung und Kommunikation werden beleuchtet. Dabei werden auch Interviewsituationen erzeugt, die wiederholt die Frage stellen, bist du glücklich? Dieses Verfahren wird 1961 in Edgar Morins und Jean Rouchs Chroniken eines Sommers verwendet, um mit Passant_innen ins Gespräch zu kommen. Marion Biet hat selbst über mehrere Jahre in der Fabrik TCP gearbeitet und wird entsprechend ihrer teilnehmenden Beobachtung nicht als fremde Beobachterin wahrgenommen. Häufig grüßen die Menschen direkt in die Kamera oder sprechen sie an. Die Fabrik ist als Koop organisiert und jede_r Angestellte hat einen Anteil an TCP. Die Frage des Glücks schließt dabei an dies Arbeitsbedingungen an, an das betriebliche Zusammenleben sowie an die von der Kooperative organisierten Urlaube. Was der Film vor allem exponiert, ist das Milieu aus Stimmungen, Farben, Klängen und repetitiven Bewegungen, die ein eigentümliches Milieu der Arbeit bilden. Sie vermitteln die Vielheit einer Ökologie aus Erfahrungen neben und in den konkreten Organisationsweisen einer Kooperative. Darin zeigt sich eine doppelte Natur der Erforschung von Arbeit, die diese nicht nur als wertschöpfend versteht, sondern die Affekte und Stimmungen ihrer Umgebung genauso als Bilder zu inszenieren versteht.
Zum 2. Teil des Dialogs